Kinderarbeit stoppen und neue Lebenschancen ermöglichen – Patrick Knodels Projektbesuch in Ghana

Menschenhandel, Kinderarbeit und Ausbeutung auf der einen Seite; interessante Begegnungen, bunte Märkte und ein zauberhaftes Land auf der anderen Seite – mein Projektbesuch in Ghana im August 2023 war eine Reise voller Kontraste und wertvoller Erkenntnisse.

Der Besuch des „Elmina Castle“ führte mich zunächst in eine vermeintlich abgeschlossene Vergangenheit zurück. Die Festung, im Jahr 1482 von den Portugiesen gegründet, wurde Schauplatz einer der tragischsten und brutalsten Epochen in der Geschichte der Menschheit – des transatlantischen Sklavenhandels. Über drei Jahrhunderte hinweg diente Elmina als einer der wichtigsten Sklavenhandelsposten südlich der Sahara.

Der Gang durch die ehemaligen Kerker war eines der eindrucksvollsten und zugleich bedrückendsten Erlebnisse meiner Reise. Das Ausmaß an Menschenverachtung, Erniedrigung und Gewalt ist kaum vorstellbar. Nach Prüfung ihrer Eignung für die Weiterreise wurden die Sklaven „aussortiert“ und in die Dutzenden Kerker von Elmina gesperrt, in denen die Bedingungen selbst für damalige Verhältnisse schockierend waren. In einer Zelle, in der bis zu 200 Menschen dauerhaft angekettet waren, gab es weder Schlafplätze noch Toiletten. Gleichzeitig lebten die europäischen Herren (zuerst die Portugiesen, dann die Holländer, gefolgt von den Briten) nur einen Stock darüber im Luxus.

Die Gefangenen mussten bis zu drei Monate unter diesen unmenschlichen Bedingungen leben, bis sie schließlich ihre Reise in eine dunkle und unbekannte Zukunft durch die immer noch existierende „Door Of No Return“ antraten und auf die Sklavenschiffe verteilt wurden. Damals wie heute waren Menschenhandel, Ausbeutung und Sklaverei Teil einer globalen Lieferkette, von der vor allem der globale Norden profitierte. Während der Sklavenhandel zu jenen finsteren Zeiten völlig legal war, ist er heute in Ghana und weltweit illegal. Doch fundamental hat sich an ausbeuterischen Lieferketten in Hunderten von Jahren immer noch nicht viel geändert, wie mir der Besuch unseres Projektpartners International Justice Mission (IJM) in Ghana noch einmal auf bedrückende Weise zeigte.

Im Gespräch mit Anita Budu, Director, West Africa, IJM

Besonders erschreckend ist das Ausmaß von ausbeuterischer Kinderarbeit im Land. 78 Prozent der zur Arbeit gezwungenen Kinder arbeiten in der Landwirtschaft, darunter in der Fischerei sowie bei der Produktion von Kakao und Palmöl. Oft geraten sie in die Fänge von Menschenhändlern, die ihren Familien falsche Versprechungen von einem besseren Leben machen. Aber genauso oft werden Kinder von ihren Verwandten aufs Land geschickt, in dem Glauben, es gehe ihnen dort besser, nur um am Ende als billige Arbeitskräfte ausgenutzt zu werden – oft mit dem Wissen und der Akzeptanz der lokalen Bevölkerung. Andere Familien wiederum sehen sich durch Armut und Schulden dazu gezwungen, ihre Kinder zu verkaufen.

Kinderarbeit und Ausbeutung sind daher gesamtgesellschaftliche Probleme in Ghana und müssen entsprechend angegangen werden. IJM verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der Aufklärungs- und Lobbyarbeit, die aktive Zusammenarbeit mit Behörden (Polizei, Justiz und Sozialämter), Undercover-Ermittlungen und konkrete Befreiungsaktionen, wie zum Beispiel am Volta-Stausee, umfasst. Öffentlichkeitswirksame Kampagnen, die die Gesellschaft für Sklavenhandel und Kinderarbeit sensibilisieren, Gespräche und Diskussionen mit Politikern, die von dem Problem bisher nichts wussten oder wissen wollten, sowie die Einbindung des privaten Sektors für sklavenfreie Lieferketten spielen eine zentrale Rolle.

Die langfristige Betreuung und Reintegration befreiter Kinder stellen ebenfalls eine wichtige Komponente der Arbeit dar. IJM arbeitet eng mit zahlreichen Organisationen zusammen, die Schutzräume für Kinder unterhalten und diese unmittelbar nach ihrer Befreiung physisch und psychisch betreuen. Während ihrer ersten Zeit dort wird die Situation jedes Kindes individuell bewertet, mit dem Ziel, es wieder in sein familiäres Umfeld zu integrieren. Dies ist jedoch nicht immer möglich, zum Beispiel wenn die Eltern selbst Mittäter waren.

Um befreiten Kindern langfristig ein familiäres Umfeld zu bieten, strebt IJM deshalb auch an, sie in Pflegefamilien aufzunehmen, die von der Organisation speziell geschult und langfristig durch die Sozialarbeiter der Organisation unterstützt werden. Kinder und Jugendliche, die bereits einige Zeit in Freiheit leben, können zudem Teil des von IJM initiierten „Ghana Survivor Networks“ werden. Dieser Prozess beginnt mit dem Wiederaufbau des Selbstbewusstseins und Selbstwertgefühls der Kinder durch offene Gespräche, Diskussionen, Spiele und gezielte vertrauensbildende Maßnahmen in der Gruppe. Die gegenseitige Unterstützung unter den Kindern und das Erlernen von Vertrauen spielen dabei eine wichtige Rolle.

Viele Mitglieder des Ghana Survivor Networks entwickeln sich langfristig von Überlebenden von Gewalt zu aktiven Verfechtern einer gerechteren Welt. Sie setzen sich leidenschaftlich gegen Kinderarbeit und Ausbeutung ein, um zu verhindern, dass anderen Kindern in Ghana ein ähnliches Schicksal widerfährt. Ich hatte die Gelegenheit, einen Teil des laufenden Trainings zu besuchen, und war tief beeindruckt wie sich die kenianische Trainerin, selbst Opfer schwerer Gewalt, in die Teilnehmer einfühlen konnte. Mit ihrem authentischen und selbstbewussten Auftreten inspiriert sie die Jungen und Mädchen, es ihr gleichzutun und vom Opfer zum „Changemaker“ zu werden und ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten.

Natürlich gelingt dies nicht allen Kindern auf Anhieb. Während einige vollständig in den Trainingseinheiten aufgehen und Freude daran haben, sind andere noch immer extrem eingeschüchtert, trauen sich nicht zu sprechen oder anderen Menschen in die Augen zu sehen. Das Leid, das sie erfahren haben, hat tiefe Narben hinterlassen, die erst nach langer Zeit beginnen zu heilen. Das Survivor Network und die umfassende Betreuung der Kinder sind daher ein erster wichtiger Schritt.

Die Schaffung von Lieferketten frei von Ausbeutung und Unrecht, bei gleichzeitiger Beteiligung der lokalen Bevölkerung, ist auch das Hauptziel des Sozialunternehmens „fairafric,“ das ich ebenfalls auf meiner Reise durch Ghana besuchte. In der Regel profitieren afrikanische Kleinbauern kaum vom boomenden Kakaogeschäft und haben aufgrund der stark schwankenden Weltmarktpreise keine Einkommenssicherheit. Oft wissen sie nicht einmal, dass ihre Kakaobohnen im Ausland zu Schokolade weiterverarbeitet werden und zu viel höheren Preisen verkauft werden.

Fairafric durchbricht das Muster des Exports von „billigen“ Ressourcen aus Afrika in den Norden zur Weiterverarbeitung und schafft tatsächliche Wertschöpfung in Ghana – und damit für die Kleinbauern. Die Fabrik des Sozialunternehmens ist auf dem neuesten Stand der Technik und verbindet Technologie mit positiven sozialen und ökologischen Auswirkungen. Fairafric lehrt den in Kooperativen organisierten Bauern ökologischen Kakaoanbau und zahlt ihnen eine Prämie über dem Marktpreis für ihre Erzeugnisse. Damit ist das Sozialunternehmen ein herausragendes Beispiel dafür, wie der globale Süden nicht nur Rohstoffe für den globalen Norden exportieren kann, sondern auch lokale Wertschöpfungsketten vor Ort aufbauen kann, von denen die lokale Bevölkerung direkt profitiert.

Unser Projektpartner „Kinder Zukunft geben Ghana e.V.“ arbeitet ebenfalls daran, neue Lebenschancen für die lokale Bevölkerung zu schaffen. Insbesondere Teenager-Mütter, die ungewollt schwanger wurden und oft von den Vätern und ihren eigenen Familien alleingelassen werden, erhalten durch eine kostenlose Berufsausbildung die Möglichkeit, ein eigenes Einkommen zu erzielen und für sich und ihre Kinder zu sorgen. Auch der ermöglichte Austausch untereinander und mit dem Organisationsteam unterstützt die Frauen auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmten Leben.

Zusätzlich dazu ist die Organisation in mehr als 20 ländlichen Schulen in Ghana aktiv, um junge Menschen für die Risiken von Teenagerschwangerschaften zu sensibilisieren. Dabei werden die Schülerinnen und Schüler aktiv einbezogen, beispielsweise durch die Inszenierung von Theaterstücken und die Durchführung von Debattierwettbewerben. Ich hatte die Möglichkeit, dem abschließenden Wettbewerb beizuwohnen und war beeindruckt davon, wie offen Themen wie Menstruation, Teenagerschwangerschaften und „Sugar Daddys“ diskutiert wurden. Dies ist besonders bemerkenswert, wenn man sich der sehr konservativen und patriarchalisch geprägten Gesellschaft im ländlichen Ghana bewusst ist.

Die von der knodel foundation unterstützten Maßnahmen zur Verhinderung von Teenagerschwangerschaften haben bereits Früchte getragen: An keiner der teilnehmenden Schulen hat es seit Beginn des Programms eine Teenagerschwangerschaft gegeben – ein bemerkenswerter Erfolg, wie mir auch von der Sozialarbeiterin der lokalen Regierung bestätigt wurde. Aus diesem Grund ist geplant, das Programm auf weitere Regionen und Schulen auszuweiten.

Meine Reise durch Ghana war erfüllt von zahlreichen Erlebnissen und Erfahrungen. Bemerkenswert fand ich die Lebensfreue der Ghanaer, bei denen Musik und Tanz nie weit zu sein scheint. Sogar die Polizeikontrollen am Straßenrand waren hier – im Gegensatz zu gegenteiligen Erlebnissen in anderen Ländern des Kontinents – entspannt und von netten bis lustigen Unterhaltungen geprägt. Insbesondere die vielen Rückkehrer aus der Diaspora, die trotz Jobs im globalen Norden in die Heimat zurückkehren und an einer positiven Veränderung mitarbeiten, haben mir gezeigt, dass das Bild vom „hoffnungslosen Kontinent Afrika“ auch in Ghana nicht der Realität entspricht.

Natürlich gibt es noch viel zu tun, insbesondere beim nachhaltigen Beenden von Kinderarbeit und Menschenhandel. Die Geschichten der befreiten Kinder und ihre Rückkehr in ein normales, kindgerechtes Leben, sowie das wachsende Problembewusstsein sowohl in der lokalen Bevölkerung als auch in der Politik und Wirtschaft, geben jedoch Hoffnung, dass dies möglich ist. Beispiele wie fairafric zeigen zudem, wie neue Möglichkeiten für faire Lieferketten und Wertschöpfung vor Ort entstehen, von denen zuallererst die lokale Bevölkerung profitiert.

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