Inklusive Bildung und Eindrücke aus Nahost: Patrick Knodels Projektreise nach Palästina

Dieser Projektbesuch wird mir noch lange in Erinnerung bleiben: Im November 2022 reiste ich nach Palästina, um mir die Arbeit des seit 2019 von der knodel foundation geförderten Star Mountain Rehabilitation Centers für junge Menschen mit Behinderungen näher anzusehen. Sowohl das herausragende Engagement des Inklusionszentrums für seine Schützlinge als auch die Begegnungen mit Menschen in Palästina, die unter unglaublich schwierigen Bedingungen leben, haben mich nachhaltig beeindruckt.

Was ist der richtige Umgang mit Menschen mit Behinderungen? Wie können diese, unabhängig von Art und Grad der Behinderung, gefördert werden, damit sie die Chance auf ein erfülltes Leben erhalten? Und wie kann dies in einem Konfliktgebiet wie Palästina gelingen, wo das alltägliche Leben der Menschen unter anderem vom Fortschreiten der israelischen Besatzung und dem Verlust von immer mehr Rechten und Freiheiten geprägt ist?

Dies waren einige der Fragen, die mich vor meiner Abreise beschäftigt haben. Das Star Mountain Rehabilitation Center unterstützt Kinder und Jugendliche mit geistigen und/oder körperlichen Behinderungen in den Bereichen Bildung, Rehabilitation, Integration sowie Inklusion. Durch den Besuch vor Ort konnte ich einen Eindruck davon gewinnen, wie dies umgesetzt wird und welche Wirkkraft das Projekt entfaltet.

Der weitläufige Campus des Zentrums besteht aus drei Teilen – inklusiver Kindergarten, Förderschule und Ausbildungsstätte – und ist von Land umgeben, auf dem Obst und Gemüse angebaut werden. Hier können die Lernenden, denen dies möglich ist, Erfahrung im Nahrungsmittelanbau sammeln und so ein Stück unabhängiger werden.

Diese Unabhängigkeit ist alles andere als selbstverständlich, denn junge Menschen mit Behinderungen haben es nicht leicht in Palästina. Die eigenen Familien sind in der Regel erst einmal überfordert und wissen nicht, wie sie mit den Einschränkungen ihres Kindes umgehen sollen. Zusammen mit einer immer noch weit verbreiteten Stigmatisierung führt dies dazu, dass die Kinder meist nicht speziell gefördert oder gar von ihren Familien versteckt werden; Inklusion ist oftmals noch ein Fremdwort. Doch damit bleiben die Kinder weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Denn auch mit verschiedenen Graden an Behinderungen ist ein erfüllendes und teils selbstbestimmtes Leben absolut möglich – das haben mir die Begegnungen am Star Mountain Rehabilitation Center eindrücklich aufgezeigt.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein kleiner Junge, der überschwänglich vor Freude, neugierig und strahlend auf mich zukam und zusammen mit mir spielte. Später habe ich erfahren, dass der Junge erst seit einem Jahr das Inklusionszentrum besucht. Als er aufgenommen wurde, konnte er nicht laufen, nicht alleine auf die Toilette und war auf ständige Betreuung angewiesen. Mit der richtigen Ansprache und Betreuung änderte sich dies aber sehr schnell. Schon nach vier Monaten konnte das Kind laufen; seine Persönlichkeitsentwicklung und sein Selbstvertrauen hat sich – wie ich selbst sehen konnte – rasant verbessert.

Solche tollen Fortschritte sind nicht nur für die Kinder selbst wichtig, sondern auch für deren Familien, die auf einmal begreifen, was mit der richtigen Betreuung und Förderung ihrer Kinder alles möglich ist. Dadurch kann sich der Umgang der Eltern mit ihrem Kind und mit dem Thema Behinderung und Inklusion im Allgemeinen positiv verändern.

Ein tieferes Verständnis für die Bedürfnisse junger Menschen mit Behinderungen und eine breitere Akzeptanz für ihre Fähigkeiten zu erreichen, ist ebenfalls ein wichtiger Teil der Arbeit des Star Mountain Rehabilitation Centers. Kinder, die gewisse Fortschritte erzielt haben, werden wenn möglich mehrmals pro Woche in eine allgemeine Schule integriert. Die Lehrer*innen, die Inklusion zunächst oftmals abgelehnt haben, werden vom Zentrum vorher entsprechend geschult und legen ihre Skepsis in der Regel schnell ab.

Star Mountain bietet eine ganzheitliche sonderpädagogische, physio- und ergotherapeutische Betreuung von Kindern und Jugendlichen, die in Palästina wohl einmalig ist. Alle Lehrer*innen und Betreuer*innen haben eine spezielle Ausbildung in ihrem jeweiligen Fachgebiet absolviert und arbeiten – trotz eines nicht sehr üppigen Gehalts – seit teils mehr als 15 Jahren am Zentrum. Daran kann man das intensive Engagement der Mitarbeiter*innen erkennen, welches auch für mich während meines Besuchs jederzeit spürbar war und mich nachhaltig beeindruckt hat.

Sämtliche Mitarbeitende, die ich getroffen habe, kümmern sich mit viel Liebe um die Kinder und Jugendlichen – teils in Gruppen von bis zu 10 Personen, teils in Einzelbetreuung bei schweren Fällen. Die ganzheitliche Betreuung in der Förderschule, welche die knodel foundation insbesondere unterstützt, umfasst zum Beispiel die Bereiche Unabhängigkeit, Sprache, soziale Fähigkeiten, Finanzielles, generelle Sicherheit, kognitive Fähigkeiten und Feinmotorik. Darüber hinaus organisiert das Team um Direktorin Ranya innovative Programme wie die Zusammenarbeit mit einer Zirkusschule, um Akrobatik, Motorik und das Selbstbewusstsein der Kinder und Jugendlichen zu stärken und unternimmt zahlreiche Ausflüge, um ihre Schützlinge an normale Dinge heranzuführen, die sie zuvor nie kennengelernt haben.

Neben den wertvollen Erfahrungen während meines Besuchs des Inklusionszentrums konnte ich auch einen kleinen Einblick in den Alltag der Palästinenser*innen erhalten. Egal auf wen man trifft – die harte Realität der israelischen Besatzung ist allgegenwärtig. Jeder Mensch kann, persönlich oder aus dem direkten Umfeld, Geschichten von nächtlichen Aktionen des israelischen Militärs, die in Wohnungen eindringen und Menschen verschleppen, erzählen; von Schikanen durch die israelische Polizei und der täglichen Angst an den Checkpoints; und von Menschen, die ums Leben gekommen sind. Wie gefährlich und unberechenbar das Leben für die Menschen in Palästina ist, zeigt sich auch gerade an der traurigen Geschichte von Mahmoud al-Saadi, 18 Jahre alt, der Ende November auf dem Weg zu seiner Schule von der israelischen Armee, die gerade eine Razzia in der Nähe durchführte, erschossen wurde. 

Das Ausmaß der strukturellen Diskriminierung des palästinensischen Volks hat mich schockiert. Die Menschen werden systematisch unterdrückt – und das sichtbar für alle, weitgehend normalisiert. In der geteilten Stadt Hebron gibt es zum Beispiel ganze Straßenzüge, die nur Israelis, aber keine arabischstämmigen Menschen, betreten dürfen. Als Stiftung, die sich für ein selbstbestimmtes Leben benachteiligter Menschen weltweit einsetzt, ist es mir deshalb ganz besonders wichtig, auch auf diese unbequemen Wahrheiten zu schauen und sie zu benennen. Dies ist umso wichtiger, da die Bildung der neuen israelischen Regierung unter Einbeziehung rechtsradikaler Parteien eine Zweistaatenlösung noch unwahrscheinlicher werden lässt und selbst die US-Regierung dazu veranlasste, Premier Netanjahu vor einer weiteren Eskalation des Konflikts zu warnen.

Mit all diesen Eindrücken im Kopf finde ich eines umso bemerkenswerter: selten auf meinen Reisen sind mir so viele herzliche und offene Menschen begegnet wie in Palästina. Wir werden das Star Mountain Rehabilitation Center und die palästinensische Zivilgesellschaft weiterhin unterstützen.

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