Die Kommune lebt – solidarisches Wohnen in Deutschland

Der indische Umweltaktivist Ashish Kothari besuchte auf Einladung der Universität Kassel mehrere Kommunen und Wohngemeinschaften in Hessen und Niedersachsen. Hier teilt er seine (Außen-)Perspektive und Eindrücke mit uns.

Der größte Teil der nördlichen, industrialisierten Welt akzeptiert nur sehr langsam, dass er seinen Material- und Energieverbrauch drastisch reduzieren muss, wenn die Welt eine Chance haben soll, den vollständigen ökologischen Kollaps abzuwenden. Einige Teile der europäischen Gesellschaft zeigen jedoch, dass ein komfortables Leben trotz solcher Einschränkungen möglich ist, und dass dies in kollektiven, selbstorganisierten Gemeinschaften sogar erfüllender sein kann als das verbrauchsintensive, individualistische und oft einsame Leben, das viele derzeit führen. Daraus lassen sich auch wichtige Lehren für die Menschen im globalen Süden ziehen, von denen viele vom Glanz dieser verbrauchsintensiven Lebensstile angezogen werden.

Ashish Kothari ist Mitgründer der indischen Umweltorganisation Kalpavriksh

Vor kurzem besuchte ich einige Kommunen und Wohngemeinschaften in Deutschland. Es wäre übertrieben zu sagen, dass das, was ich gesehen habe, eine verortete Utopie (oder „Nowtopia,“ wie manche es nennen) war, aber es gab viele inspirierende Einblicke in umweltfreundliche Wege aus den vielfältigen Krisen, mit denen wir konfrontiert sind – ökologisch, sozial, wirtschaftlich, politisch, kulturell, ethisch-spirituell. Zu sehen, wie diese Wege inmitten einer stark kapitalistischen, individualistischen und konsumorientierten Gesellschaft auftauchen und sich den Herausforderungen stellen, ist für mich ein starkes Zeichen der Hoffnung.

Ressourcen und Räume teilen

Mein erster Besuch galt der Fuchsmühle, einem „Commons“-Projekt, das von zwölf jungen Menschen im Jahr 2020 initiiert wurde. Ihr Hauptziel ist es, zu zeigen, wie ein gutes Leben durch die gemeinsame Nutzung von Räumen und Ressourcen anstelle von Privateigentum geführt werden kann. Es kombiniert eine Gemeingüterwirtschaft mit dem Widerstand gegen Herrschaft und Ausbeutung und verbindet all dies auch mit einer inneren Veränderung des Einzelnen. Neben Wohn-, Begegnungs- und Aktionsräumen gehören ein Waldgarten und Freiflächen für gemeinsame Aktivitäten zum Projekt. Im Laufe der Zeit sind über 30 weitere Personen hinzugekommen, von denen einige an verschiedenen Orten im Dorf leben, aber an gemeinsamen Aktivitäten teilnehmen. Neben den Räumen werden auch Ressourcen wie Fahrzeuge, Wasch- und Kücheneinrichtungen und anderes gemeinsam genutzt. Die Gemeinschaft versucht, sich im Dorf einzubringen, anstatt eine Blase für alternatives Leben zu bleiben: So betreibt sie unter anderem eine Lebensmittelkooperative, die mit einer solidarischen Landwirtschaft verbunden ist, und eine Arbeitsgruppe für Leerstände.

Der gemeinsame Aufenthaltsraum in der Fuchsmühle

Die Entscheidungsfindung in der Fuchsmühle orientiert sich an den Grundsätzen der Soziokratie. Die Mitglieder legen zu Beginn des Jahres in einer Vollversammlung ihre Strategiefest und reflektieren am Jahresende, was sie erreicht haben. Es gibt monatliche Treffen mit der gesamten Gruppe, um Themen zu besprechen, die für alle von Bedeutung sind, und um die Gemeinschaft zu stärken. Darüber hinaus gibt es monatliche Treffen, die sich auf emotionale Themen und auf die Gefühle der Menschen untereinander konzentrieren, die so genannten „Herzensrunden.“

Die meisten Entscheidungen werden von verschiedenen Arbeitsgruppen getroffen, je nach dem Auftrag, den sie vom großen Plenum erhalten haben. Jeder der Wohnbereiche ist auch eine eigene Gemeinschaft, mit wöchentlichen oder regelmäßigen Treffen – in gewisser Weise ist die Fuchsmühle ein Netzwerk von Gemeinschaften. Alle Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Mobilität werden geteilt, wobei jedes Mitglied seinen Beitrag zu den regelmäßigen Ausgaben leistet. Es gibt auch Arbeitsgruppen für spezielle Aufgaben.


Als Nächstes war ich eingeladen, die Lebensgemeinschaft und politische Kommune „gASTWERKe“ in der Nähe des Dorfes Escherode, nicht weit von Kassel entfernt, zu besuchen. Hier leben rund 25 Erwachsene und 20 Kinder.

Ashish Kothari im Gespräch mit Chris Herrwig und Steffen Emrich von den gASTWERKen

Gemeinsame Alltagsökonomie

Die gASTWERKe-Gemeinschaft erstreckt sich über eine Fläche von etwa elf Hektar. Sie beherbergt mehrere Wohneinheiten, teils gemeinschaftlich, teils individuell (einschließlich einiger Bauwägen),
Versammlungsräume, landwirtschaftlich genutzte Gebäude und Gärten, einen Laden und einen
Spielplatz für Kinder, eine große Gemeinschaftsküche und einen Essbereich, Geräteschuppen und Ställe für Haustiere. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind sehr unterschiedlich – Landwirte, Pädagogen und Akademiker, Handwerkende und andere Berufe finden sich hier.

Der gemeinsame Geräteschuppen der gASTWERKe

Einer der faszinierendsten Aspekte der gASTWERKe ist die Aufteilung der Einnahmen und Ausgaben. Es wird ein Jahresbudget für regelmäßige gemeinsame Ausgaben wie Lebensmittel, Infrastruktur, Mobilität und Reisen, aber auch für Kleidung, Schulgeld, Urlaub usw. aufgestellt. Dann werden die Einkommen der Mitglieder zusammengelegt, um diese Ausgaben zu decken. Wenn eine persönliche Anschaffung von mehr als 100 Euro getätigt werden muss, wird dies mit der gesamten Gemeinschaft besprochen – nicht so sehr, um eine Erlaubnis zu erhalten, sondern damit andere darauf hinweisen können, ob der Gegenstand bereits bei ihnen vorhanden ist oder ob etwas wiederverwendet oder recycelt werden kann.

Diejenigen Mitglieder, die keine großen finanziellen Mittel in den gemeinsamen Pool einbringen können, weil sie vielleicht nicht viel verdienen, bieten Sachleistungen an, wie Kinderbetreuung, Kochen, Arbeit in den Biobetrieben und Gärten oder Renovierung von Gebäuden. Der Grundgedanke ist, dass in einer Wirt schaft mit vielen Ungleichheiten ein solches Teilen dazu beiträgt, anzuerkennen, dass sowohl körperliche als auch geistige Arbeit gleich wichtig sind.

Eigenanbau und Biodiversität spielen eine wichtige Rolle bei den gASTWERKen

Bei all dieser gemeinsamen Nutzung ist es für die Mitglieder der Kommune deutlich günstiger, als wenn sie das Leben mit den gleichen Möglichkeiten auf eigene Faust bestreiten müssten. Außerdem müssen die Mitglieder zwar viel Zeit aufwenden, um sich an Entscheidungen zu beteiligen, aber sie sparen auch Zeit, da sich andere um bestimmte Aufgaben wie die Beschaffung von Lebensmitteln, die Landwirtschaft, die Kinderbetreuung usw. kümmern können. Etwa 50 Prozent des Lebensmittelbedarfs der Gemeinschaft (und etwa 95 Prozent des Gemüses) werden aus dem eigenen Betrieb gedeckt.

Dialog und Konfliktlösung nötig

All diese Initiativen haben zwar erhebliche Vorteile für die Bewohnerinnen und Bewohner (und für die Umwelt), sind aber auch mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Das Leben in der Gemeinschaft bringt seine eigenen Schwierigkeiten mit sich, wenn es darum geht, ein Gleichgewicht zwischen der Gruppe und dem Bedürfnis des Einzelnen nach einem gewissen Maß an Eigenständigkeit herzustellen. Dies erfordert intensive Prozesse des Dialogs und der Konfliktlösung.

Hinzu kommen die Zwänge, die sich daraus ergeben, dass deutsche Rechtsvorschriften aller Art eingehalten werden müssen und dass man in einem größeren kapitalistischen Kontext mit dominanten Märkten lebt, die oft von willfährigen Regierungen unterstützt werden. Das bedeutet auch, dass viele Kommunen Handlungsspielräume innerhalb des Systems finden müssen, auch wenn sie sich eigentlich komplett dagegen wehren wollen.

Eine wichtige Strategie zur Bewältigung dieser und anderer Herausforderungen und Probleme ist das gegenseitige Lernen und die Unterstützung der Kommunen untereinander. Sechs von ihnen rund um die Stadt Kassel haben ein Netzwerk gegründet, das wiederum Teil eines größeren Netzwerks in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist: das Kommuja-Netzwerk.

Einige, wie die gASTWERKe, sind auch Teil des Globalen Ökodörfer-Netzwerks (GEN). Steffen ist Mitbegründer des deutschen Zweigs und Mitglied der europäischen und globalen Lenkungsgruppe. Ihm zufolge ist das Interesse an gemeinschaftlichem Wohnen in Deutschland sprunghaft angestiegen, vor allem im Zusammenhang mit der wachsenden Inflation und der Erkenntnis, dass Gemeinschaft angesichts von Krisen wie der Covid-Pandemie wichtiger denn je ist.

Was ich von der Kommunen- und solidarischen Wirtschaftsbewegung in Deutschland gesehen und gehört habe, gibt mir Hoffnung. Keine dieser Initiativen hat alle Antworten, und sie sind noch lange nicht stark genug, um das herrschende System zu überwinden. Aber ihre bloße Existenz und die Tatsache, dass sie wachsen, sind Elemente der Vorstellungen und Praktiken, die wir brauchen, um aus den lokalen bis globalen Krisen herauszukommen, denen wir gegenüberstehen.

Mehr erfahren:

Der Original Artikel in der deutschen Übersetzung von Verena van Zyl-Bulitta wurde in CONTRASTE – der Zeitung für Selbstorganisation veröffentlicht.

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