Wie das indische Sozialunternehmen „amar khamar“ Biodiversität auf den Teller bringt

Sujoy Chatterjee ist Gründer der von der knodel foundation geförderten Initiative amar khamar („meine Farm“), welche Kleinbäuerinnen dabei unterstützt, nachhaltige Landwirtschaft zu betreiben. Im Interview hat er uns unter anderem erzählt, wie der Verkauf seltener Reissorten zu mehr Biodiversität beiträgt.

knodel foundation: Was hat Sie dazu inspiriert, amar khamar zu gründen?

Sujoy Chatterjee: Bevor ich amar khamar gegründet habe, hatte ich die Chance, durch meine Tätigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit verschiedene Regionen Afrikas und Indiens näher kennenzulernen. Unter anderem habe ich in den Sundarbans gearbeitet, einem Gebiet südlich der Metropolregion Kolkata in West Bengalen. Die Region ist nicht nur wegen ihres Mangrovenwalds bekannt, sondern auch aufgrund ihrer diversen Flora und Fauna. Was mich besonders fasziniert hat, war die Vielzahl indigener Reissorten, die von den Familien angebaut, weiterverarbeitet und gegessen wurden. Das hatte ich so in der Stadt nie erlebt, obwohl Reis in Indien das Hauptnahrungsmittel ist.

Eine meiner Inspirationen für amar khamar war es, diese Vielfalt an Reissorten für urbane Konsument*innen verfügbar zu machen und dadurch gleichzeitig die Bäuerinnen zu motivieren, möglichst divers und nachhaltig anzubauen. Als Sozialunternehmen stellt amar khamar dabei die Brücke zwischen den Konsument*innen und den Bäuerinnen dar. Wir gewährleisten, dass die Produkte gewissen Qualitätsmerkmalen entsprechen und die Bäuerinnen für ihre Arbeit gut entlohnt werden.

Können Sie uns mehr über die Rolle der Kleinbäuerinnen in amar khamar erzählen?

Die Bäuerinnen haben eine unentbehrliche Rolle in amar khamar und wir versuchen, sie in möglichst viele Bereiche miteinzubeziehen. Das fängt natürlich in der Produktion an. Alle Bäuerinnen, die über amar khamar verkaufen – und es sind überwiegend Frauen – produzieren nach nachhaltigen Anbaumethoden: Sie verwenden keinerlei genetisch modifiziertes Saatgut und nutzen keine schädlichen Chemikalien, sondern setzen auf natürliche Methoden, wie zum Beispiel auf Kuhdung. Ein weiterer wichtiger Punkt ist Biodiversität. Alle Bäuerinnen bauen divers und saisonal an, also zum Beispiel Reis in der Sommersaison, wenn es viel regnet, und Linsen im Winter, wenn es zu Wassermangel kommt.

Neben den Anbaumethoden arbeiten wir intensiv mit den Bäuerinnen zusammen und besprechen, welche Produkte gerade gefragt sind und wie sie diese weiterverarbeiten können. Wir versuchen, Produkte zu entwickeln, für welche die Bäuerinnen ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse selbst weiterverarbeiten können. So wird zum Beispiel Reis auf traditionelle Weise zu „Muri“ (gepuffter Reis) weiterverarbeitet. Durch diese Wertschöpfung verdienen die Bäuerinnen mehr.

Wir beziehen die Bäuerinnen aber auch in viele andere Bereiche mit ein. Für die nächsten Monate haben wir zum Beispiel verschiedene Veranstaltungen geplant, in denen die Bäuerinnen nicht nur ihre Produkte, sondern auch ihre kulinarischen Traditionen vorstellen können. Dieser kulturelle Austausch zwischen „Land“ und „Stadt“ ist enorm wichtig, damit Stereotypen hinterfragt werden können.

amar khamar Gründer Sujoy Chatterjee mit den Bäuerinnen auf dem Feld

Wie trägt amar khamar dazu bei, Biodiversität zu erhalten?

Unser Motto lautet „biodiversity on your plate“, weil wir glauben, dass jede Mahlzeit dazu beitragen kann, Biodiversität zu erhalten. Verschiedene wissenschaftliche Studien gehen davon aus, dass unser Essen weltweit überwiegend aus nur wenigen Nutzpflanzen besteht. Das ist ein großes Problem für die Umwelt und natürlich auch uns Menschen. Der Biodiversitätsverlust und die damit einhergehenden Folgen gehören zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. In den Sundarbans zum Beispiel gibt es regelmäßig Zyklone, in Folge derer ein Teil der Felder mit Meerwasser überschwemmt werden. Auf solchen Feldern kann kein genetisch modifiziertes Saatgut mehr wachsen. Doch es gibt spezielle indigene Reissorten, die genau unter solchen Bedingungen gedeihen. Wir fördern deshalb den Anbau solcher Reissorten ganz besonders.

Was wir essen hat eine große Auswirkung auf die Umwelt. Mit amar khamar versuchen wir Menschen zu inspirieren, ihr Essverhalten zu verändern und diverser, regional und saisonal zu essen. Doch um Konsument*innen davon zu überzeugen, verschiedene Reissorten auszuprobieren und zuzubereiten, müssen wir über deren Unterschiede informieren und aufzeigen, was damit besonders gut gekocht werden kann. Auf unserer Website zeigen wir, ähnlich wie man es zum Beispiel von Wein kennt, Geschmacksprofile aller Reissorten und geben Tipps, für welche Gerichte sie sich gut eignen. Wir möchten gerade die weniger bekannten und gegessenen Reissorten populärer machen. Denn nur, wenn unsere Bäuerinnen einen Anreiz haben – und ein solcher Anreiz ist der profitable Verkauf – werden sie diese auch anpflanzen und so dazu beitragen, die Biodiversität zu erhalten.

Was sind die derzeit größten Herausforderungen für amar khamar?

Da wir landwirtschaftliche Produkte verkaufen, sind wir stark vom Wetter abhängig und die Folgen des Klimawandels stellen uns vor große Herausforderungen. Während wir zum Beispiel letzten Sommer zu viel Regen hatten, warten wir diesen Sommer auf den Niederschlag.

Wenn wir auf den Vertrieb schauen, sehen wir dass die Ansprüche von Konsument*innen, gerade im Onlinehandel, extrem gestiegen sind. Amar khamar verkauft fast ausschließlich online. Das ist auf der einen Seite toll, weil dadurch viele Prozesse automatisiert sind. Es bringt auf der anderen Seite aber auch neue Herausforderungen mit sich. In Indien bieten die großen Onlinehändler in den meisten Städten Lieferungen innerhalb weniger Stunden. Doch je nach Lieferadresse muss man auf die Produkte von amar khamar zwischen 2-8 Tage warten. Wir haben nicht die Infrastruktur, um so schnell zu versenden – und ehrlich gesagt würde es auch nicht zu uns passen, da diese schnellen Lieferungen meist auf Kosten der Menschen gehen, die in diesen Systemen arbeiten.

Die Bäuerinnen von amar khamar beim Reisanbau

Wie sieht die Zukunft von amar khamar aus?

Was wir essen, verändert die Welt! Und mit amar khamar merken wir immer mehr, wie wichtig es ist, über Essen zu informieren und zu inspirieren. Wenn wir erreichen wollen, dass mehr Bäuerinnen diverser und nachhaltig anbauen können, um ihr Einkommen zu steigern und Biodiversität zu erhalten, müssen mehr Konsument*innen diese Produkte ansprechend finden und ihren Mehrwert erkennen.

Deshalb setzen wir immer mehr auf einen Dialog, der über den ursprünglich konzipierten Austausch von Ware und Geld hinausgeht. Wir wollen, dass sich Konsument*innen damit auseinanderzusetzen, woher ihr Essen kommt, wie und von wem es produziert wurde. Essen ist ein essenzieller Teil unseres Lebens. Konsument*innen sind es immer mehr gewöhnt, industriell verarbeite Lebensmittel zu essen – alles ist dabei stets verfügbar und schmeckt doch immer gleich. Doch so funktioniert die Natur nicht.

Deshalb planen wir gerade eine Reihe von kulinarischen Pop-Ups, in denen amar khamar mit den Bäuerinnen zusammen verschiedene Gerichte präsentiert. Viele der ausgewählten Zutaten stehen in regulären Restaurants nicht im Menü. Wir werden zum Beispiel eine Vorspeise mit Wildkräutern servieren, die man auf dem Markt nicht kaufen kann, doch die bei unseren Bäuerinnen im Garten wachsen; oder eine lokale Schneckenart, die von den Familien regelmäßig konsumiert wird, weil sie in ihren Teichen lebt.

Wir glauben, dass diese Aktionen dazu beitragen, amar khamar als Sozialunternehmen zu positionieren, das für nachhaltigen Konsum steht. Unser Ziel ist, von der Produktion bis zum Teller immer mehr Produzent*innen mit immer mehr Konsument*innen zu verbinden und so zu einem nachhaltigeren Umgang des Menschen mit der Natur beizutragen.

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